Der Index der geschlechtsspezifischen Ungleichheit (englisch Gender Inequality Index, kurz GII) ist ein sozialer Indikator zur Gleichstellung der Geschlechter in den Ländern der Welt, der vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) seit 2010 jährlich veröffentlicht wird. Der Index wird gebildet aus fünf statistischen Angaben zur Fortpflanzungsgesundheit von Frauen, zum Frauenanteil im Landesparlament sowie zur sekundären Schulbildung und Erwerbsbeteiligung im Geschlechtervergleich. Durch eine schrittweise Mittelung der Einzelangaben berechnet sich ein GII zwischen 1,000 und optimal 0,000: Je kleiner der GII, desto weniger sind Frauen gegenüber Männern benachteiligt bezüglich der erfassten Lebensqualitäten. Vier der Einzelangaben dienen als Ungleichverteilungsmaß der 2015 von den Vereinten Nationen beschlossenen „Ziele für nachhaltige Entwicklung“ (SDGs). Insgesamt zeigt der GII eines Landes seinen Verlust an „menschlicher Entwicklung“ (human development), der durch geschlechtsspezifische Ungleichheit entsteht.
Ende 2019 veröffentlichte UNDP zum Jahr 2018 die GII-Werte für 162 Länder (siehe unten), zu 27 weiteren lagen keine ausreichenden Daten vor. Als zusätzlichen Vergleichsmaßstab zur Gleichberechtigung berechnet UNDP den länderspezifischen GDI (Gender Development Index zur geschlechtsspezifischen Entwicklung), gebildet aus Lebenserwartung, Schuljahren und Einkommen im Vergleich zwischen Frauen und Männern. Als eigenen Index veröffentlichte das Weltwirtschaftsforum zeitgleich seinen Global Gender Gap Index 2020 (GGGI) zum Jahr 2019 – die folgende Übersicht zeigt alle drei Indizes zum Gender-Gap in den D-A-CH-Ländern und vergleicht sie zu den weltweit sehr hohen Durchschnittswerten (43,9 % Ungleichheit), dabei bedeuten GII-Minuswerte ab 2010 ( /−) einen Abbau der Frauenbenachteiligung:
Entwicklung des GII
Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) führte zunächst im Berichtsjahr 1995 zwei geschlechtsspezifische Indizes ein: eine frühere Form des GDI und den Frauenbeteiligungsindex GEM. Beide wurden aber in den Folgejahren von verschiedenen Seiten als mangelhaft kritisiert. Mit dem UNDP-Bericht 2010 wurde dann der GII (Gender Inequality Index) als Ungleichverteilungsmaß vorgestellt, der wesentliche Kritikpunkte berücksichtigten und die Auswertung von Daten zu möglichst vielen UN-Mitgliedsstaaten ermöglichen soll. Statistischen Daten des Jahres 2008 waren zu 137 Ländern verfügbar. Die Einführung des GII wurde folgendermaßen begründet (in Übersetzung):
Der Bericht über die menschliche Entwicklung 2019 berechnet die Veränderungen der GII-Werte nicht ab 2008, sondern anhand neuester Daten und Berechnungsmethoden ab dem Jahr 2010 sowie rückwirkend für die Jahre 2005, 2000 und 1995. UNDP bemängelt regelmäßig fehlende Datenzulieferung seitens einiger Länder, stellt aber insgesamt eine stetige Verbesserung der Datenlage fest: 2019 konnten statistische Angaben zu 162 Ländern ausgewertet werden, zu 27 weiteren lagen nur unzureichende Daten vor (siehe unten). Der Bericht fasst die Gesamtlage zusammen (in Übersetzung):
Weltweit liegt der GII 2018 bei 0,439 – das entspricht einer durchschnittlichen Ungleichheit von 43,9 % in den erfassten Lebensqualitäten, mit einer Verringerung von 3,4 % seit 2010 (0,473) und 8,2 % seit dem Jahr 2000 (0,521).
Rezeption
Der spanische Demograf Iñaki Permanyer begrüßte 2011 die Einführung des GII: „UNDPs neuer Index der geschlechtsspezifischen Ungleichheit ist ein wichtiger Beitrag zur Diskussion des Messens von geschlechtlicher Ungleichheit. Eingeführt im Bericht zur menschlichen Entwicklung 2010, wurde der neue Index gestaltet, um viele Beschränkungen seines Vorgängers − des GDI − zu überwinden.“
Kritik
Permanyer kritisierte in mehrfacher Hinsicht die Kompliziertheit des GII sowie seine Vermischung von Dimensionen und schlug 2011 vereinfachende Verbesserungen vor.
Der deutsche Entwicklungsökonom Stephan Klasen (Universität Göttingen) ist Mitglied des UN-Ausschusses für Entwicklungspolitik und begleitet die geschlechtsspezifischen Maßnahmen und Indizes des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) seit den 2000er-Jahren mit kritischen Analysen und Verbesserungsvorschlägen. Klasen schrieb 2017:
Berechnung des GII und Beispiel
Der Index der geschlechtsspezifischen Ungleichheit (GII) wird vom UN-Entwicklungsprogramm berechnet anhand von Daten der Vereinten Nationen (UNDESA, UNESCO), der Interparlamentarischen Union IPU (Parlamentssitze) sowie der Internationalen Arbeitsorganisation ILU (Erwerbsquote). Die Daten entstammen drei grundlegenden Bereichen der „menschlichen Entwicklung“ (human development):
- Reproduktive Gesundheit (reproductive health), ermittelt aus
- a) Müttersterblichkeitsrate: Zahl der Todesfälle von Müttern pro 100.000 Lebendgeburten (Minimum: 10, Grenzwert: 1.000)
- b) Mutterschaft Minderjähriger: Geburten je 1.000 Mädchen im Alter zwischen 15 und 19 Jahren
- Beide Werte − in der Berechnung für Männer auf 1 gesetzt − sind Teil der „Ziele für nachhaltige Entwicklung“ (Ziel 3.1 und 3.7). Das Konzept „Reproduktive Gesundheit und Reproduktive Rechte“ steht für einen Rechtsansatz der UN, Familienplanung als Menschenpflicht zu verankern.
- Teilhabe (empowerment), ermittelt aus
- a) politische Beteiligung: Sitze im Landesparlament von Frauen und von Männern (nachhaltiges Ziel 5.5)
- b) sekundäre Schulbildung von Frauen und von Männern ab 25 Jahren (nachhaltiges Ziel 4.6)
- Erwerbsbeteiligung (labour force participation) von Frauen und von Männern ab 15 Jahren
Für jeden der 5 Indikatoren wird ein Mindestwert von 0,1 Prozent gesetzt. Zunächst wird dann ein geometrisches Mittel der 5 Einzelwerte je Geschlecht gebildet, im Anschluss werden die beiden Endwerte harmonisch gemittelt. UNDP nennt dazu als Beispiel die konkreten Zahlen für das Land Papua-Neuguinea:
- 1. a) Müttersterblichkeit: 215 (je 100.000 Lebendgeburten)
- 1. b) Jugendliche Geburtenrate: 52,7 (je 1.000)
- 2. a) Parlamentssitze von Frauen: 0,0 % (gesetzt auf das Minimum: 0,1 %)
- 2. b) Sekundärbildung: 9,94 % der Frauen und 15,16 % der Männer (ab 25 Jahren)
- 3. Erwerbsquote: 46,0 % bei Frauen und 47,6 % bei Männern (ab 15 Jahren)
Mit einer komplexen Formel werden aus den Einzelwerten getrennt für beide Geschlechter Zwischenwerte errechnet:
- Frauen:f 0,05146
- Männer: 0,57005
Harmonisches Mittel: 0,0944
Dann wird das geometrische Mittel sämtlicher Einzelwerte berechnet: 0,3637
Zum Schluss wird der GII berechnet: 1 − (0,0944 / 0,3637) = 0,740
Damit liegt Papua-Neuguinea im Jahr 2018 auf GII-Rang 161 (von 162), sein HDI von 0,543 liegt auf Rang 155 (von 189).
Liste von Ländern nach ihrem GII
Die folgende Liste zeigt den GII (Gender Inequality Index) zu den 162 ausgewerteten UN-Mitgliedsstaaten im Jahr 2018 gemäß der Rangordnung des UN-Entwicklungsprogramms in seinem Bericht über die menschliche Entwicklung 2019 (siehe unten zum Vergleich mit dem HDI), zusammen mit den 5 sozialen Indikatoren zur reproduktiven Gesundheit von Frauen, zur Befähigung und Teilhabe von Frauen sowie zu ihrer Beteiligung am Arbeitsmarkt:
- Müttersterblichkeit je 100.000 Lebendgeburten
- Mutterschaft Minderjähriger je 1.000 Mädchen im Alter 15–19
- Frauenanteil im Landesparlament (👩-Sitze) – siehe dazu die Länderliste mit Veränderungen ab 1995
- Sekundäre Schulbildung von Frauen (👩) und Männern (👨)
- Erwerbsbeteiligung (👩 und 👨 ab 15 Jahren)
Rang 1 belegt die Schweiz mit dem niedrigsten GII (0,037: geringe Frauenbenachteiligung), Österreich belegt Rang 14 und Deutschland Rang 19, zum Vergleich die Durchschnittswerte der UN-Mitglieder sowie der OECD-Staaten:
GII-Liste ab 2000
Die folgende Liste vergleicht den GII von 162 Ländern mit ihrem grundlegenden HDI (Index der menschlichen Entwicklung) und ihrem GDI (Index der geschlechtsspezifischen Entwicklung), zusammen mit den Veränderung des GII seit 2017, seit 2010 und seit 2000, alle auf Basis der Daten und Berechnungsmethoden von 2019 – Minus-Veränderungen sind positiv, Pluswerte bedeuten eine Zunahme des Gender-Gaps in der Gleichstellung der Geschlechter; die drei D-A-CH-Länder liegen auf HDI-Rang 20, Rang 4 und Rang 2:
Länder ohne GII
Für das Jahr 2018 konnte das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) die „geschlechtsspezifische Ungleichheit“ (GII) nur für 162 UN-Mitgliedsstaaten berechnen – zu 27 weiteren lagen zwar volkswirtschaftliche Daten vor zur Berechnung ihres „Index der menschlichen Entwicklung“ (HDI), teils auch unterschieden in Frauen und Männer im Index der geschlechtsspezifischen Entwicklung (GDI), aber keine ausreichenden Daten zu den 5 sozialen Indikatoren des GII (vergleiche 23 Länder ohne GDI):
Für die folgenden 10 Staaten und Gebiete lagen auch keine geeigneten Daten zur Berechnung des HDI vor, teils sind sie nicht Mitglied der Vereinten Nationen (UN):
- Kosovo – Republik auf der Balkanhalbinsel, kein UN-Mitglied
- Monaco – europäisches Fürstentum
- Nauru – pazifischer Ministaat
- Nordkorea – außenpolitisch isoliert, kaum verlässliche Daten verfügbar
- San Marino – Minirepublik, von Italien umgeben
- Taiwan (Republik China) – kein UN-Mitglied aufgrund des Taiwan-Konflikts
- Somalia – „gescheiterter Staat“ in Ostafrika
- Tuvalu – pazifischer Ministaat
- Vatikanstadt – kein UN-Mitglied, der Vatikan hat kein eigenes Bildungssystem
- Westsahara – kein UN-Mitglied, von Marokko beanspruchtes und besetztes Territorium (Westsaharakonflikt)
Siehe auch
- Freiheitsindizes (weltweite Messgrößen)
Weltbank:
- Länder nach Müttersterblichkeitsrate (2015)
Vereinte Nationen:
- GDI: Gender Development Index (geschlechtsspezifische Entwicklung 2018)
- GEM: Gender Empowerment Measure (früherer Frauenbeteiligungsindex bis 2012)
Weltwirtschaftsforum:
- GGGI: Global Gender Gap Index (2019)
CIA (World Factbook):
- Länder nach Lebenserwartung (Männer/Frauen 2016)
UNDP-Berichte
Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP):
- 2019: Human Development Report 2019 – Beyond income, beyond averages, beyond today: Inequalities in human development in the 21st century. New York Dezember 2019, ISBN 978-92-1-126439-5, S. 147–160: Chapter 4: Gender inequalities beyond averages: Between social norms and power imbalances, sowie S. 316–319: Table 5: Gender Inequality Index (englisch; PFD: 8 MB, 366 Seiten auf hdr.undp.org).
- Technical notes. Dezember 2019, S. 1: Infografik, S. 7–9: Technical note 4: Gender Inequality Index (englisch; Ergänzung zum Human Development Report 2019; PDF: 287 kB, 16 Seiten auf hdr.undp.org).
- 2018: Human Development Indices and Indicators: 2018 Statistical Update. UNDP, New York 2018 (englisch; PDF: 1,4 MB, 123 seiten auf hdr.undp.org).
- Downloadseite: Human Development Reports 1990–2019.
Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen (Übersetzungen und Zusammenfassungen):
- 2019: Bericht über die menschliche Entwicklung 2019. 15. Januar 2020 (Downloadseite).
- 2018: Menschliche Entwicklung: Zahlen und Fakten 2018 – Statistisches Update zum Human Development Report. Berlin, 14. Dezember 2018, S. 7–10: Ungleichheit der Geschlechter – das Gefälle verringern, um die Hälfte der Weltbevölkerung zu stärkerer Teilhabe zu befähigen, sowie S. 39–39: Tabelle 4: Index der geschlechtsspezifischen Entwicklung (Zusammenfassung als PDF: 421 kB; Downloadseite).
- 2016: Bericht über die menschliche Entwicklung 2016: Menschliche Entwicklung für alle. Berlin, 21. März 2017 (Downloadseite).
- 2015: Bericht über die menschliche Entwicklung 2015. Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2015, ISBN 978-3-8305-3618-5 (PDF: 9,3 MB, 328 Seiten auf hdr.undp.org).
Literatur
- Stephan Klasen: Working Paper: UNDP’s gender-related measures: Current problems and proposals for fixing them. Diskussionspapier Nr. 220. In: Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft. Februar 2017, S. 14–17: UNDP’s Gender Inequality Index (englisch; PDF: 1,6 MB, 31 Seiten auf econstor.eu).
- Iñaki Permanyer: Are UNDP Indices Appropriate to Capture Gender Inequalities in Europe? In: Social Indicators Research. Band 110, Nr. 3, Februar 2013, online: 6. Dezember 2011, S. 927–950, hier S. 940 ff.: Gender Inequality in Europe Using GII Variables (englisch; doi:10.1007/s11205-011-9975-6; PDF: 570 kB, 24 Seiten ohne Seitenzahlen auf ced.uab.es (Memento vom 9. Juni 2013 im Internet Archive)).
Weblinks
Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP):
- Übersicht: Gender Inequality Index (GII). Dezember 2019.
- Interpolierte Tabelle: Gender Inequality Index (GII: 1995–2018). Stand: 22. Oktober 2019 (alle Zahlen auf Basis der Daten und Berechnungsmethoden von 2019).
- Sämtliche Einzelwerte der D-A-CH-Länder: Germany, Austria, Switzerland. (Menü aller 189 UN-Länder).
- Frauenbeteiligung: Dashboard 3: Women’s empowerment. (Einzeldaten ohne Indexbildung).
GII-Indikatoren 1990–2018 (Datenauswahl):
- Müttersterblichkeit: Maternal mortality ratio (deaths per 100.000 live births) (Nummer 3.1 der Ziele für nachhaltige Entwicklung).
- Jugendgeburten: Adolescent birth rate (births per 1,000 women ages 15-19) (SDG-Ziel 3.7).
- Parlamentssitze: Share of seats in parliament (% held by women) (SDG 5.5).
- Sekundarschulbildung Frauen: Population with at least some secondary education, female (% ages 25 and older) (SDG 4.6).
- Sekundarschulbildung Männer: Population with at least some secondary education, male (% ages 25 and older) (SDG 4.6).
Bertelsmann Stiftung:
- Sustainable Development Report 2019: Germany, Austria, Switzerland. 28. Juni 2019 (englisch; zur Umsetzung der 17 UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung − Ziel Nr. 5 ist Gender equality).
Einzelnachweise
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